„Ich lass euch alles da…“

Udo Jürgens wäre in diesem Jahr 90 Jahre alt geworden. Seine Lieder haben mein Leben begleitet. Er hatte einen wachen Blick für Entwicklungen in unserer Gesellschaft, in unserer Welt. „Mit „Griechischer Wein“ und „Ein ehrenwertes Haus“ greift er große Themen auf, erreicht mit seiner Musik Stellen, zu denen Worte nicht hinkommen.

Mit „Ihr von morgen“ schreibt er eine Hymne an die Zukunft. Mit „5 Minuten vor 12“ spricht er etwas an, was heute aktueller ist als je zuvor. Udo Jürgens war ein Mann mit Tiefgang und Weitsicht. Sein Lied „Ich glaube“ hat mich besonders berührt. „Ich glaube, diese Welt müsste groß genug, weit genug, reich genug für uns alles sein. – Ich glaube, dieses Leben ist schön genug, bunt genug, Grund genug, sich daran zu erfreun!“

Mit dem Lied „Deine Einsamkeit“ habe ich einige Andachten gestaltet und gespürt, was es in Menschen anrührt, bis heute! Udo Jürgens ist auf dem Zentralfriedhof in Wien bestattet worden, mit Worten aus einem seiner letzten Lieder: „Ich lass euch alles da…“ Ja, Udo lässt uns ganz viel da an Weisheit, an Emotionen, an Menschlichkeit. Und das wünsche ich uns allen, dass wir diese Welt bereichern und beschenken mit dem, was wir tun und sagen, gestalten und … zurücklassen!

Einmal um die ganze Welt

Im Klimahaus Bremerhaven werden wir eingeladen zu einer abenteuerlichen Reise um die ganze Welt – auf dem Längengrad 8 ° Ost. Die Reise führt in die Schweiz, nach Sardinien und Niger, durch den Regenwald von Kamerun, die Antarktis, Samoa, Alaska und die Insel Langeneß. Du bist mittendrin, in den Bergen und in der Wüste, in der eisigen Antarktis und im schwülen, unheimlichen Regenwald.

Der Musiker Bob Geldorf hat vor 15 Jahren über das Klimahaus gesagt: „Es ist ein Liebesbrief an den Planeten, der wunderschön ist. Es ist eine Erinnerung daran, wie zerbrechlich wir sind.“

In Sardinien hören wir von heißen Sommern und erfahren, dass die Menschen hier älter werden und vitaler sind als anderswo. Es wird gefragt, ob der Pecorino und der Rotwein dabei eine Rolle spielen?

Ein Satz begleitet mich, seitdem ich ihn gelesen habe: „Noch haben die Tuaregs eine funktionierende Sozialversicherung, nämlich sich selbst!“ – Du liegst in der Wüste und siehst kleine Filme über das karge Leben der Tuareg und spürst, dass unser Lebensstil nur ein klitzekleiner Teil des großen Ganzen ist.

In Samoa stehe ich vor einer kleinen Kirche und staune: Über 99 % der Bevölkerung sind Christen. Der Glaube prägt das Leben. Die Kirchen sind proppevoll, leben ausschließlich von Spenden. Die Menschen kommen fein angezogen zum Gottesdienst. Der Ehrgeiz der Gemeinden ist, die schönste Kirche und den dicksten Pastor zu haben.

Die Reise auf dem Längengrad 8° Ost mit ihren vielen Eindrücken hat mich verändert. Ich ahne zu verstehen, was Alexander von Humboldt einmal gesagt hat und was im Klimahaus zitiert wird: „Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben.“

Schwärmen und Staunen

Es war das große Kino! Über 20 000 Bienen summten im Garten. Eine dunkle Wolke schwebte über uns. Von einem Augenblick zum anderen. „Spooky“, staunte der Enkel. Bei aller Faszination war das extrem unheimlich. Mir fielen gleich „die Vögel“ von Alfred Hitchcock ein.

Was sollten wir tun? Die 112 wählen? Eine Feuerwehrfreundin kannte Imker, die in der Nähe wohnten. Fünf Minuten später war einer vor Ort. Inzwischen hatten die Bienen eine Traube gebildet. An der Hochstammrose „Leonardo da Vinci“. Na, der hätte bestimmt seine Freude gehabt.

Der Fachmann sagte relativ gelassen: „Keine Angst. So ist das, wenn ein Bienenvolk sich teilt. Aus eins wird zwei. Eine junge Königin ist da und die alte schwärmt mit einer großen Menge Bienen aus. Das ist eine ganz natürliche Fortpflanzung.“ Mit großer Geduld und Fachkenntnis sammelte der Imker die Königin samt ihrem Volk ein und schenkte ihnen ein neues Zuhause.

Das Staunen über dieses Abenteuer hat uns lange begleitet.

Weltgestalter

Wow! Schon beim Hochschauen wird mir schwindelig! Fensterputzer hängen am Seil und reinigen die 1100 (!) Glaselemente der Elbphilharmonie. Was für mutige Männer (vielleicht auch Frauen)!! Ich kann sie nur bewundern! – Wie gut, dass ich zu Hause nur 20 Fenster habe, die allesamt gut erreichbar sind.

Es gibt unzählig viele Aufgaben in dieser Welt, die zu vergeben sind: Gehirnchirurgen, Tiefseetaucher, Piloten, Heizungsbauer, Violinistinnen, Osteopathinnen, Hebammen …. Sterneköchinnen und die, die alles wieder abwaschen und wegräumen. Da sind jene, die auf der Bühne glänzen und jene, die im Hintergrund für saubere Toiletten sorgen. Es gibt Erfolgstrainer und solche, die sich um alle kümmern, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens wohnen……. Viele werden sehr gut bezahlt für ihre Arbeit und andere leisten unbezahlt etwas ganz Großes!

Als der Schöpfer die Erde geschaffen hat, hat er seinen Menschen zugetraut, sie zu gestalten, sie zu einem lebenswerten Ort zu machen. Bei dem einen und der anderen mag er sagen: „Chapeau. Du bist ne Wucht! Es ist gut zu sehen, was Du aus Deinen Gaben machst, wieviel Liebe und Menschlichkeit durch dich in die Welt kommt!“

Soll ich oder soll ich nicht?

In Bremerhaven, in der Columbusstraße 65, steht das Deutsche Auswandererhaus. Auswanderer aus ganz Europa sind von Bremerhaven aus in eine neue Welt aufgebrochen und haben auf ein besseres Leben gehofft, auf einen Neuanfang. Der Alltag hier war von Hunger und Krieg geprägt – ohne Perspektive. Das Neue lockte. Aber was für ein Abenteuer, das Alte und Vertraute aufzugeben.

Vor dem Museum steht ein Denkmal. Es zeigt eine kleine Familie, die auf dem Weg in die neue Welt ist. Der Vater schaut entschlossen nach vorne, in der Hoffnung, dass bessere Verhältnisse auf sie warten, dass die Kinder ganz andere Chancen bekommen als in der Heimat. Der Sohn ist an der Hand des Vaters, ist mit ihm bereit für das Neue!

Die Mutter schaut zurück. Zaghaft. Noch im Hin und Her! Was müssen sie alles zurücklassen! So viel Liebgewordenes, Teile der Familie, Freunde, das Haus, das Vertraute. Das, wofür sie jahrelang gelebt, hart gearbeitet und gekämpft haben. Ihre gemeinsame Geschichte. Das kleine Mädchen sucht Geborgenheit bei der Mutter.

Es gibt Zeiten, in denen sehnen wir uns auch nach einer Veränderung. Nein, nicht so groß wie das Auswandern. Aber etwas, was das Leben reicher, intensiver, leichter macht. Soll ich oder soll ich nicht? Habe ich den Mut für neue Wege und Gedanken, für einen neuen Lebensabschnitt? Diese Fragen haben mich bewegt beim Denkmal in der Columbusstraße!

Reden und reden lassen

Worte wirken! Sie können wohltun und wehtun. Sie können Nähe schaffen und Distanz. Sie können beflügeln und kränken, ermutigen und verunsichern. Wir können einen Menschen aufblühen lassen, mit dem, was wir sagen, wir können ihn auch zutiefst verletzen. Wir können Herzen öffnen und zutexten.

Wie wir mit anderen Menschen im Gespräch sind, das entscheidet darüber, wie unsere Beziehungen aussehen. Gerade in der Sterbe- und Trauerbegleitung ist es wichtig, heilsame Kommunikation zu lernen.

Zwei Tiere begleiteten uns im Seminar der Hospizgruppe: ein Wolf und eine Giraffe (Foto). Der Wolf ist bissig, polternd und verletzend. Die Giraffe hat einen langen Hals, beobachtet aus dem Abstand heraus und steht für unvoreingenommene Empathie.

Was ich mitgenommen habe, auch für die alltäglichen Gespräche: Zuhören ist ganz wichtig und heilsam. Wenn der andere spricht, nicht eigene Geschichten erzählen, nicht beurteilen und werten, keine Ratschläge geben, eher fragen: Habe ich das richtig verstanden? Bei mir ist angekommen, dass du …..! Habe ich das richtig interpretiert? Wichtig ist, Gefühle wahrzunehmen, mich in den anderen reinzuversetzen! Es ist erstaunlich, wie viele Menschen jemanden zum Zuhören suchen.

Wenn ich etwas klären möchte, dann beginne ich das Gespräch nicht mit: „Du bist ….! Du hast …..!“ Ich sage, wie ich mich fühle, wie ich etwas wahrnehme! Ich sende „Ich-Botschaften“.

Das waren wertvolle Impulse!

Mach mal Pause

Er hatte immer ganz viel zu tun, der fleißige Holzfäller. Selbst wenn seine Säge im Laufe des Tages stumpf geworden war: er nahm sich keine Zeit für eine Pause, in der er seine Säge schärfen konnte. Und so musste er sich bei seiner Arbeit unnötig quälen!

Pausen sind wichtig! Mal abschalten, die Arbeit unterbrechen, tief durchatmen, etwas lesen, einen Kaffee trinken, ein paar Schritte laufen, sich dehnen, tanzen oder ein kurzes Nickerchen machen.

An einem Automaten lese ich: 24/7. Hier kannst du an 7 Tagen in der Woche 24 Stunden lang etwas kaufen! 24/7 ? Der Mensch ist kein Automat. Er wird müde. Er braucht Pausen für den Kopf und alles Lebendige an ihm.

Ab und zu treffen wir uns in einem Café. Wir schenken einander Zeit, sprechen über das, was sonst ungesagt bleibt, spüren Verbundenheit, genießen die Ruhe und das gemütliche Ambiente. Und dann? Dann gehen wir anders, ausgeruht und entspannt, kreativer und getroster wieder ins Gewohnte zurück. Pausen tun gut!

Same procedure ….

Die Geburtstagsfee hat über Nacht gebacken und dekoriert. Im Wohnzimmer hängen Girlanden, Lichterketten und Luftballons. Die Kerzen sind angezündet und die Torte ist ein echter Hingucker. Alle sind 15 Minuten früher aufgestanden und empfangen das Geburtstagskind mit einem Ständchen: „Wie schön, dass du geboren bist!“

Auch, wenn es gestern noch ein paar Nickeligkeiten zwischen den Geschwistern gab, heute sind alle super nett, freuen sich mit über die Geschenke und haben kleine Überraschungen vorbereitet! Das Geburtstagskind steht im Mittelpunkt und wird gefeiert. Es spürt die Verbundenheit der Familie und zieht später fröhlich los in die Schule.

Viele Jahre später wird es Fotos anschauen: Dieses Ritual, dieser wertvolle, festliche Moment am Geburtstagsmorgen war etwas ganz Besonderes. Da habe ich gespürt, dass ich geliebt bin, dass ich den anderen viel bedeute! Vielleicht ist da so eine Sehnsucht nach dem, auf das man sich verlassen kann!

Offene Türen und Herzen

Was ist denn da los? Auffallend viele Menschen strömen in die Hamelner Marktkirche. Eine bunte Mischung: Touristen, Shoppende, Gemeindemitglieder und solche, die sich sehnen nach Wärme und Essen. Der freundlichen Einladung draußen folgt ein herzlicher Empfang im Turm. Ein verführerischer Duft von Waffeln strömt mir entgegen. Lange Tischreihen sind hübsch geschmückt und voll besetzt.

Vier Tage Vesper-Kirche! Vier Tage unter einem großen „WILLKOMMEN“!! Fühl dich willkommen mit allem, was du mitbringst und was du suchst. Hinter dem Altar laden Liegestühle zum Ausruhen ein. Die Kirche lebt!!

Ich treffe „Grüne Damen“, die Diakonie, das Angebot zum kostenlosen Haareschneiden für alle, die wenig Geld haben. Menschen mit sehr unterschiedlichen Lebensläufen kommen miteinander ins Gespräch, hören einander zu. Die mir so vertrauten LandFrauen aus dem Kreis Hameln-Pyrmont sorgen für Kaffee und Kuchen. Es gibt Musik und Kultur und kleine geistliche Impulse. Natürlich weiß ich es nicht genau, aber ich kann mir lebhaft vorstellen, dass Gott seine Freude hat an dieser lebendigen Kirche mit einer fröhlichen Willkommenskultur! Mitten in der Stadt!

Jeder bringt eine Kleinigkeit mit

Ich liebe Mitbring-Buffets! Wie hier im Kreis der Trauerbegleiter. Jede/jeder bringt eine Kleinigkeit mit. Das ist gut zu schaffen. Das ist bunt, lecker und inspirierend. Erstaunlich, was da zusammenkommt!

So vielfältig und reich kann auch die Gemeinschaft einer Familie, eines Vereins, einer Gesellschaft sein! Jede einzelne hat ihre Begabungen, ihr Charisma, ihre Möglichkeiten. Je mehr sich aktiv beteiligen, desto mehr Leben zieht ein, desto mehr kann bewegt werden.

Ich zitiere immer wieder gerne Gräfin Leutrum zu Ertingen, die Gründerin der LandFrauenvereine: „Die Vereine werden das sein, was wir selbst aus ihnen machen. Und je mehr sich lebendig einbringen, desto fruchtbarer wird es für alle sein.“