Was ist uns gelungen?

Eine Geschichte von Saat und Ernte hat Pastorin Sabine Schiermeyer in der St. Nikolai – Kirche in Rinteln erzählt. Ich freue mich sehr, dass ich sie an dieser Stelle weitergeben darf, denn sie hat mich sehr berührt:

Eines Tages, und diese Tage werden häufiger, je älter wir werden, fragen wir uns, was uns eigentlich gelungen ist im Leben. Wir haben so viele Möglichkeiten, wir sind frei, uns Dinge vorzunehmen oder auch zu lassen, wir sind frei, innezuhalten und zu fragen: Und – hast du ausgeschöpft, was dir das Leben anbot?

Jesus erzählt vom Sämann. Nur die Älteren kennen heute noch das Bild des Bauern, der langsam die Ackerfurchen abschreitet und mit geübter Hand das kostbare Saatgut auswirft. Alles soll auf guten Boden fallen. Jesu Sämann aber sät schlecht. Zu viele der kostbaren Samen werden auf dem Weg aufgepickt, verdorren auf dem Fels, gehen ein unter Disteln. Aber Jesus gibt ja auch keine Anleitung zu erfolgreichem Ackerbau. Sein Sämann wird durchscheinend für Gott – und für unsere Erfahrungen auf dem Acker der Welt. Wie verschwenderisch streut die Natur in Tier- und Pflanzenwelt Nachkommen und Samen aus – und nur wenige kommen durch. Aber das wenige reicht, damit das Leben siegt. Gott sortiert nicht aus, er rechnet mit Fehlern, Scheitern, erstickendem Unkraut über Lebensmöglichkeiten. Leben ist immer auch Versagen. Es geht nicht alles gut. Wir leben auch mit den Ruinen unserer Vergangenheit. Und können trotzdem zufrieden sein mit dem, was uns gelingt.

Ich höre Jesu Gleichnis zuerst als einen kostbaren Appell an meine Generation. Um die 50 herum erreichen Menschen den Tiefpunkt ihrer Lebenszufriedenheit. In allen Kulturen, unabhängig von Geld oder Status oder Bildung, ist das so. Junge Menschen sind optimistisch, dass sie ihre Lebensziele erreichen. Einen guten Beruf, eine glückliche Familie, eine schöne Wohnung, tolle Reisen …. Und obwohl manches Ziel viel zu hoch gesteckt ist, verlockt es sie, das Leben anzupacken. Und irgendwann summieren sich neben Erfolgen auch die Niederlagen. Menschen merken plötzlich: Ich werde kein Haus mehr bauen. Ich werde nie ein Buch schreiben und nicht auf Weltreise gehen. Die eigene Ehe ist nicht so glücklich wie erhofft. Das Kind ist vielleicht weit weggezogen, um möglichst viel Raum zwischen sich und die Eltern zu bringen. Wir sind so auf Erfolg getrimmt, dass wir es kaum aushalten, unsere Niederlagen anzusehen. Das Unglück klopft an die Tür. Und Jesus sagt: Ein Teil fällt auf guten Boden. Die Körner gehen auf und bringen hundertfachen Ertrag.

Es kommt die Zeit, einfach durch das Älterwerden und die erlebten Enttäuschungen, da erwarten wir nicht mehr so viel. Plötzlich fällt unser Blick auf die Halme, die gewachsen sind. Sie wiegen sich im Wind und zeigen uns in ihren Ähren Hunderte Körner. Der Grauschleier vor unseren Augen versinkt, wir schauen uns in unserem Leben um und sind ganz zufrieden. Hundertprozentiger Ertrag? Ach, ein Viertel Erfolg ist doch auch ganz schön. Wenn Gott es aushält, dass sein Wort und sein Tun nur zu einem Viertel erfolgreich sind – warum sollten wir es nicht auch können und gelassen die Früchte dessen genießen, was uns gelungen und geschenkt ist? Wir sind nicht unsere eigenen Richter. Und auch nicht die Richter anderer. Wir werden bis zu unserem letzten Atemzug nicht die sein, die wir hätten sein können. Gott hält das aus.

Einmal werden wir ihm unser Leben in all seiner Bruchstückhaftigkeit hinhalten. Darauf hoffen, dass er heilt und fertig macht, was uns misslungen ist. Und glauben, dass die Frucht reicht, die aufgegangen ist.