König Drosselbart

In unserer Familie war Oma Lina die große Märchenerzählerin. Die Geschichte vom König Drosselbart habe ich besonders geliebt – von der schönen Königstochter, der kein Mann gut genug war. An jedem hatte sie etwas auszusetzen. Der eine war ihr zu dick, der andere zu lang. Einer war zu blass, ein anderer zu dick. Und dann war da noch der Königssohn, dem das Kinn ein wenig krumm gewachsen war. ‚Ei, der hat ein Kinn, wie die Drossel einen Schnabel!‘ – Drosselbart!

Nun habe ich bei einem Seminar gehört, dass unsere Lieblingsmärchen Schlüssel zu unseren Lebensthemen, zu unserer Persönlichkeit sind.  Werner Küstenmacher spricht – was das Märchen vom König Drosselbart angeht – von Personen, denen nichts gut genug ist, die an allem etwas auszusetzen haben, die sehr streng mit sich selbst sind und einen Hang zum Perfektionismus haben. ‚Na‘, denke ich, das passt ja! Bin ich doch oft mein schärfster Kritiker, selten mit mir zufrieden….

Was ist das Geheimnis von Menschen, die viel schaffen und viel erreichen? – Sie sind zufrieden mit dem, was sie leisten, mit dem, was sie sind! Sie haben Mut zur Unvollkommenheit, zum Fragment… Sie können sich abends auf die Schulter klopfen und sagen: ‚Gut gemacht, meine Liebe‘. Ich bewundere alle, die mit dieser Leichtigkeit und Power ihren Weg gehen! – Mir fällt das schwer.

Aber seitdem ich meine Liebe zum Gärtnern entdeckt habe, habe ich wertvolle Erkenntnisse gewonnen. Alles braucht seine Zeit – ich kann nur wenig dazu beitragen, dass etwas schneller wächst. Du kannst mit 40 noch nicht die Einsichten einer 60-jährigen haben! Die Natur können wir nicht zwingen. Wir können sie nicht in unsere Pläne pressen und unter Druck setzen! Wir tun gut daran, auf sie zu hören, uns mit ihr zu befreunden!

Ich weiß jetzt: Perfektion ist eine Illusion. Chronische Unzufriedenheit verhindert, locker das Nächstliegende zu tun und sich des Lebens zu freuen. Also: Fehler dürfen sein! Gib die zwanghafte Kontrolle auf und öffne dem schöpferischen Chaos die Tür, schwing ein in den Fluss des Lebens, vergiss das Tanzen nicht bei allem Tüchtigsein.  Versöhn dich mit dem, was ist, was du selbst jetzt bist. Das macht dich liebenswert und locker!

Welches ist denn Ihr Lieblingsmärchen?

Ein Gedanke zu „König Drosselbart“

  1. Liebe Heidi,

    auch ich erinnere mich gut an Oma Lina`s Märchenstunden. Mein Lieblingsmärchen war immer „Sterntaler“. Es hat mich fasziniert und berührt, die Geschichte dieses kleinen Mädchens zu hören, die so voller Mitgefühl und Vertrauen in die Welt gegangen ist und buchstäblich „ihr letztes Hemd“ gegeben hat, um anderen zu helfen…

    Dieses Gefühl von bedingungslosem Vertrauen in das Leben geht einem ja im Getümmel des Alltags leicht verloren….
    Ich denke es ist sehr gut, sich immer wieder „rück“ zu besinnen und, so wie du es ja auch beschrieben hast, geduldig zu sein wenn es mal nicht so gut läuft im Leben, geduldig vor allem mit sich selbst….das Gärtnern und die Natur überhaupt sind dabei wunderbare Lehrmeister, das habe ich auch so erfahren.

    Wichtig finde ich auch, sich nicht von irgendwelchen „kopflastigen“ Vorstellungen beindrucken zu lassen sondern den Mut zu haben, immer wieder offen, neugierig und unperfekt zu sein.

    Dazu fällt mir der Satz von Andre Gide ein: „Man entdeckt keine neuen Erdteile, ohne den Mut zu haben, alte Küsten aus den Augen zu verlieren.“
    Der Satz trifft es sehr gut, finde ich und das, was man bekommt, wenn man sich mutig, offen und liebevoll in den „Fluß des Lebens einschwingt“ kommt den Sternen in Sterntalers Hemd ziemlich nahe!

    In diesem Sinne wünsche ich dir schöne, lebendige und „unperfekte“ Zeiten 🙂 und schicke dir viele Grüße aus Bayern,

    Andrea

    ….vielen Dank für die Geburtstagsgrüße, ich habe mich sehr gefreut!

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