Hörst du den Dompfaff?

Wir standen vor dem Haus, sprachen über Kinder, Eltern und Zukunftspläne – auf einmal sagte Eckart: „Hörst du den Dompfaff?“
Nein, ich hatte keinen Dompfaff gehört, habe nicht gewusst, dass er an seinem weichen, zögerlichen, melancholischen Gesang zu erkennen ist.
Ich hatte gar nicht auf Empfang geschaltet!
Und Eckart stand da und war ganz ergriffen von dem, was er hörte.

Als ich am Abend noch einmal über dieses Erlebnis nachdachte, habe ich mich an eine Geschichte erinnert:
Ein Amerikaner spaziert mit einem Indianer durch New York. Plötzlich zupft ihn der Indianer am Ärmel und sagt: „Hörst du die Grille zirpen?“
„Wie soll ich mitten im Lärm der Stadt eine Grille zirpen hören?“
Tatsächlich fanden sie in der Hecke an der Straße eine Grille.
Sie gingen weiter. Da nahm der Indianer eine Geldmünze aus der Tasche und ließ sie auf die Straße fallen.
Sofort drehte sich der Amerikaner um und sagte: „Da ist Geld auf die Straße gefallen!“
Der Indianer sagte: „Siehst du, die Münze ist kaum lauter als die Grille, aber die hörst du mitten im Lärm der Stadt!“

Was nehmen unsere Ohren wahr?
Das Laute in dieser Welt – oder auch die vielen leisen Töne, die Poesie, das, was der Mensch zwischen seinen Worten sagt, die Schwingungen, die von ihm ausgehen?
Die Tagesnachrichten, die man für uns ausgesucht und aufbereitet hat – oder auch die vielen kleinen Wunder und Begegnungen, die der Tag bereit hält?
Das Negative, von dem es immer genug gibt – oder auch das Wissen um die Größe und Herrlichkeit des Lebens?
Die Außenseite der Dinge (von denen man uns sagt, darauf komme es an) – oder auch das Geheimnis Gottes, das dahinter steckt?
„Hörst du den Dompfaff?“
Diese Frage hat mich nachdenklich gemacht.
Wie aufmerksam gehe ich durch die Welt?
Was nehme ich wahr, wenn ich einem Menschen begegne?
Worauf habe ich meine Antennen ausgerichtet?
Für welche Themen bin ich sensibel und wo höre ich gerne weg?
Für welche Dinge bin ich auf beiden Ohren taub?
Wo stehe ich da und staune wie Eckart?

Dass wir achtsam durchs Leben gehen, wünsche ich uns allen.
Es gibt mehr zu hören, als wir ahnen.

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